Drämmli Geschichte
«Dante Schuggi» erzählt aus ihrem Leben
Auf die Welt kam ich 1914 in Neuhausen, in den Werkhallen der Schweizerischen Industriegesellschaft SIG. Die Erbauer waren sehr stolz auf mich und stellten mich in Bern an der Landesausstellung 1914 aus, damit alle sehen konnten, was die Schweizer Industrie zu leisten imstande war. Im Mai 1915 dann, durfte ich den Liniendienst aufnehmen, und zwar auf der Linie 11 vom Aeschenplatz nach Aesch. Ich hatte einen gleichgebauten Anhänger, der oft mit mir unterwegs war. Manchmal hatte ich bis zu vier Anhänger zu ziehen, man stelle sich das heute einmal vor! Ich war der erste vierachsige Motorwagen der BVB und das blieb 34 Jahre lang so. Die Fahrgäste der Linie 11 staunten, als sie mich sahen, und schlossen mich bald in ihr Herz.
Vor Unfällen blieb ich nicht verschont. 1933 stiess ich auf der einspurigen Strecke zwischen Heiligholz und Ruchfeld mit einem verspäteten, nur am Sonntag verkehrenden Tramzug zusammen, es gab eingedrückte Führerstände und ein paar Verletzte. Mein schwärzester Tag aber war der 19. März 1941. Da stiess ich wegen einer falsch gestellten Weiche beim Wolfgottesacker mit einem Zug der Birseckbahn zusammen. Es gab leider einen Toten und zahlreiche Verletzte. Und am 19. April 1955 stiess ich vor dem St. Jakobs-Denkmal mit einem ausländischen Lastwagen zusammen. Sein Chauffeur wollte noch schnell vor mir durchzwängen. Meine Schäden waren so gross, dass man mich gleich umbaute und modernisierte, seither habe ich luftbetätigte Türen, aber nur noch auf einer Seite. Am 9. September 1969 traf mich ein Blitz, weswegen ich acht Tage dem Dienst fernbleiben musste.
In meiner ersten Karriere habe ich 3'469'735 Kilometer zurückgelegt, das wäre sechsundachtzig- einhalb mal um die Erde. Ende Oktober 1972 schickte mich die BVB in Pension, in der Fachsprache heisst das ausrangiert und ist fast gleichbedeutend wie Abbruch. Wenn da nicht meine Freunde vom Tramclub Basel gewesen wären und sich für mich eingesetzt hätten. So durfte ich ins Altersasyl im Eglisee, wo mir aber leider Wind und Wetter nicht gut taten, ich litt aber auch unter den dummen Vandalen. Es besserte ein wenig, als die Tramfreunde mir ein Dach über den Kopf bauten.
Während der Herbstmesse 1982 war das Berner Speisewagentram in Basel zu Gast. Hei, wie das den Baslern gefiel. Die BVB war auch ganz aus dem Häuschen und wollte auch so etwas in Basel haben. Doch hatten sie kein geeignetes Fahrzeug in ihrem Bestand. Da erinnerten sie sich an mich. Zum Glück hatten mich die Tramclub-Mitglieder den BVB zurückgegeben. Die schickten Mechaniker, Schreiner, Elektriker und Maler an die Arbeit und machten aus mir ein Bijou erster Güte. Zum Abschluss des Umbaus gab man mir zu Ehren ein Fest, das «Dante Schuggi-Fest 1985». Man munkelt, dass dabei ein guter Teil des Geldes für meine Restaurierung zusammengekommen sei. Das soll mir nur recht sein.
Seit fast 30 Jahren fahre ich nun als Restauranttram in Basel herum. Vor genau 20 Jahren, als ich 80 Jahre alt war, hat sich in meinem Leben noch einmal etwas ganz glückliches ereignet. Ich lernte Michele Cuomo kennen, den Wirt vom damaligen Restaurant Storchen. Es war bei beiden Liebe auf den ersten Blick. Er hat begonnen, mit mir jeden Freitag Stadtrundfahrten zu machen, auf welchen die Gäste während eineinhalb Stunden (heute sind's eindreiviertel) bei mir essen und trinken konnten. Auch unter der Woche kann man mich seither mieten und sich einen Apéro oder ein Menu nach Wahl servieren lassen. Hei wie mir das gefällt plötzlich wieder soviel zu tun zu haben.
Dabei ist es gar nicht selbstverständlich, dass ich heute überhaupt noch lebe. Am Mittwoch, 18. August 2004 - ich werde diesen Tag nie mehr vergessen - habe ich Todesängste ausgestanden. Ich stand noch im Depot und wurde gerade für eine Apérofahrt vorbereitet, als es im Depot Wiesenplatz plötzlich zu brennen begann. Im Nu haben sich die Flammen ausgebreitet und es ist nur meinem Freund Michele Cuomo zu verdanken, der den Brand entdeckt hatte und mich unter Lebensgefahr mit einem Depotarbeiter im letzten Moment aus dem brennenden Depot gezogen und mir somit das Leben gerettet hatte. Seither sind wir beide unzertrennlich. Zusammen sind wir dann mit dem Küchenchef vom Restaurant Storchen via Restaurant Münchnerhof und Schmiedenhof ins Restaurant Landhus an der Endstation vom 6er Tram in Allschwil gezogen, wo es uns ausgezeichnet gefällt und von wo aus wir jetzt ab 1. Januar 2014 das Essen auf der Dante Schuggi zubereiten.
Am Samstag, 12. April 2014, feierte ich meinen 100. Geburtstag und gleichzeitig meine 20jährige Freundschaft mit dem Schuggi Wirt Michele Cuomo.
Es fand ein grosses Fest zu meinen Ehren im Depot Dreispitz statt, wo ich zu Hause bin. Am Vormittag hatte ich noch eine Aperofahrt zu erledigen, aber dann war’s soweit. Nach meiner Rückkehr erwarteten mich Dutzende Fotografen sowie die BVB-Direktion mit einer 50 Kilogramm schweren Geburtstagstorte. Der BVB-Direktor hielt eine Rede und erzählte aus meinem Leben. Ich war ganz gerührt. Danach konnten mich alle besuchen und mich von innen und aussen ansehen und Fragen stellen. Ueber 2000 Leute sind gekommen, um mit mir zu feiern.
Nachdem ich am 3. Januar 2015 meine erste Aperofahrt ins Ausland auf der neuen Strecke nach Weil hatte, kam ich am 5. Januar in die Werkstatt, wo man mich nach 30 Jahren Fahrt einer gründlichen technischen Revision unterzog. Ich bekam u.a. eine neue Achse und ein neues Rad. Leider dauerte der Werkstattaufenthalt viel länger als geplant. Das Bundesamt für Verkehr in Bern (BAV) möchte mich alte Tante am liebsten auf den technischen Stand eines neuen Flexity-Trams bringen und mir u.a. eine Totmanneinrichtung*) einbauen (!). Manchmal habe ich das Gefühl, dass man mich gar nicht mehr will und mich am liebsten ins Museum abschieben möchte. Bestimmt haben Sie mich alle schon sehr vermisst. Mein Freund Michele Cuomo sagte mir, dass Sie alle ungeduldig auf mich warten, bis Sie wieder bei mir essen können. Das hat mich wahnsinnig gefreut, dass ich von Ihnen noch nicht vergessen wurde.
Eigentlich geht es mir ja gut, ich bin frisch revidiert und wäre fahrbereit. Nur lässt mich das BAV in Bern (noch) nicht, da es nach wie vor bemängelt, dass ich nicht auf dem neuesten Stand der Technik bin. Konkret geht es um mein Bremssystem, das zwar die letzten 100 Jahre, als ich noch auf dem 11er mit bis zu vier Anhängern unterwegs war, nie versagte. Wenn man meine Bremsen nun nachrüsten muss kostet das sehr viel Geld und Zeit und sie müssten darum noch länger auf mich warten. Ich hoffe einfach, dass mir die BVB gut gesinnt sind und man sich bald einigt, was man mit mir machen will.
Vielleicht schreiben Sie ja einmal einen Brief an die BVB-Direktion und sagen darin wie gerne mich die Basler wieder zurück hätten.
Wenigstens hat man mich Anfangs November 2015 endlich aus der Werkstatt entlassen und mich wieder ins Depot Dreispitz, meiner Heimat, gestellt. Dort stehe ich jetzt hinter meinem kleinen Bruder, dem Motorwagen Nr 163, der gegenwärtig für mich die Fahrten übernimmt.
Ich hoffe jetzt einfach, dass ich so schnll wie möglich wieder fahren darf und dass Sie danach alle noch lange an mir viel Freude haben werden und ich noch viele Jahre von meinen Lieblingswagenführer(Innen) Elvira, Theres, Urs, Beat, Markus, Patrick, Georg, Felix, Peter, Lars, Thomas und Philipp gefahren werde und für Sie unterwegs sein darf. Drücken Sie ganz fest die Daumen.
In diesem Sinne grüsse ich Sie alle ganz herzlich und hoffe, Sie bald wieder bei mir zu sehen.
Ihr Motorwagen Nr. 450 «Dante Schuggi»
*) Totmanneinrichtung = Sicherheitssystem das laufend die Fahrtüchtigkeit des Wagenführers überprüft